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Atlantis2

Posted on Thursday, May 21st, 2009 by tritus

Die letzte Hütte blieb lange geheim, und ich verbrachte oft einige Tage allein mit dem Bach, aber ich errichtete jedesmal auch noch einen anderen Unterschlupf dort, wo sie mich vielleicht suchen würden, und dort wo ich mich versteckte, wenn ich gefunden werden wollte.
Diese Verstecke waren viel einfacher, ich band junge Tannen zusammen und verflocht ihre Äste, überdachte eine ausgerissene Wurzel oder einen Graben, über dem schon Baumstämme lagen. Das schützte nie besonders gut vor Wind oder Regen, und sie konnten glauben, dass ich sowieso irgendwann lieber zu Hause war.
Irgendwann haben sie mich auch in Ruhe gelassen, und ich bin tatsächlich von selbst zurückgekehrt.
Ich dachte nicht, dass das eine Falle sein könnte.

An den Abenden, die ich nahe dem singenden Silberbach verträumte, dachte ich viel über das nach, was mir mein Großvater erzählt hatte, und ich begann zu begreifen, wieso der Sternenhimmel fast immer so eintönig erschien. Die Zeit verlief in der Welt anders als hier, da draußen vergingen bald tausend Jahre wie hier auf der Erde in einem Augenblick, und ich lernte auch die Erde mit anderen Augen zu sehen.
Ich lernte in der Schule viel über unser Planetensystem.
Die Lehrer sagten es gäbe neun Planeten, die sich alle auf kreisrunden Bahnen um unsere Sonne bewegten.
Wir mussten die Namen alle auswendig lernen.
Ich wusste nicht viel über Astronomie, aber das eine konnte mir kein Lehrer ausreden, weil es mir der Großvater einmal erzählt hatte, dass alles, was ist oder nicht ist, auch einmal anders gewesen sein musste.

Ich beobachtete nicht die Sterne, ich beobachtete die Linden, wie sie ihre Blätter bekamen und im Sommerwind rauschten, ich beobachtete den Bach, der einmal voll überströmte, und später dann leicht und dürftig dahinplätscherte. Ich beobachtete die Vögel, die über mir herzogen und in den Baumwipfeln erst sangen und später dann hetzten und stritten, und ich beobachtete, wie sie sich mit freier Brust trennten, nachdem ihre Kleinen im Herbst groß geworden waren. Zu dieser Zeit sangen sie wohliger als jemals zuvor.
Dann ging der Sommer zu Ende, und sie begannen große Buchstaben in den Himmel zu malen, wenn sie nach Süden zogen.
Dann wurde es Winter und über den schlafenden Linden schwiegen die Sterne.
Im Winter kam ich hierher, wenn meine Spuren von niemandem zu finden waren, und ich kehrte auch nur im wilden Gestöber zurück.
Auch während dieser Zeit interessierten die Sterne mich nicht, denn ich suchte die schneeschweren Wolken, die immer den ganzen Himmel bedeckten und auch die Erde und auch meine Fußstapfen irgendwann.
Im diesem Frühjahr fiel es mir schwer lange auf die Sonne zu warten, der Schnee löste sich nur langsam auf, und ich wusste, jeder könnte meinen Spuren folgen. Mein Herz brannte vor Sehnsucht, also riskierte ich es. Ich schlich in weiten Bögen umher über die südlichen Berge, vermied jede weiße Stelle, die nicht gefroren war und doch war ich nicht vorsichtig genug gewesen. Eines Tages, als ich wieder in meinem Zimmer träumte und gerade als ich eben einigermaßen sitzen konnte, da sprang meine Zimmerzür auf, nachdem schon das Poltern der Treppe laut und deutlich, ja bedrohlich meinen Frieden störte. Etwas packte mich am Arm, zog mich hinaus, es piepte wieder einige Male in meinen Ohren, ein paar Sternchen funkelten in einer flimmernden Nacht vor meinen Augen umher, und während ich noch nichts begriff, flog ich durch eine Autotür und unter unverständlichen Schimpfrufen fuhren wir los. Die Mutter musste mahnen, Vater solle doch den Verkehr beachten und sich nicht zu oft umwenden, dann irgendwann herrschte ein bitteres Schweigen und wir fuhren weiter und weiter in einen Wald, in meinen Wald. Ich sah eine frische SChneise, sie führte zu meinem Bach.
Jetzt erst begriff ich. Es standen auch einige Förster umher, die eifrig dabei waren mit großen Gesten zu diskutieren. Waldarbeiter dröhnten mit knatternden Sägen. Diese hatten schon mächtig gerodet, es roch nach Rauch, nach Benzin und nach Teer.
Sie sagten, ich hätte den Wald angezündet, sei unvorsichtig gewesenun. Sie fragten mich, ob das meine Hütte gewesen sei. Meine Hütte war völlig verbrannt und lag wie Müll irgendwo auf einem stinkenden Haufen, die beiden Linden wurden gerade über das Schlammloch geschleift, welches früher einmal vielleicht der kleine Teich vom Silberbach war, den ich im Sommer angelegt hatte.
An diesem Tag wurde ich nichtmehr geschlagen, kein Schimpfen hörte ich und keine Vorwürfe mehr. Ich hörte nur vorwurfsvolles, strafendes Schweigen und am Ende dieses Schweigens saß ich in einem Zug nach nirgendwo – irgendwohin zu einem Internat, ohne dass mir jemand auf wiedersehn gesagt hatte.
Jetzt würden sie mir nichtmehr aufschwarten, wie sie es nannten. So dachte ich, und meine Augen füllten sich mit bitteren Freudentränen.