Schola Nova

Der Innere Kompass

Posted on Saturday, January 4th, 2020 by TriTuS

Gute Orientierung ist in der Fechtkunst wichtig, die klassiche Schule orientiert sich vor allem an den Himmelsrichtungen, diese werden ergänzt durch Motive sphärischer Geometrie in bezug auf den eigenen Körper und das Ziel. Hier werden die klassischen Muster aufgegriffen und zeitgemäß soweit wie möglich übertragbar interpretiert.

Dazu stehe ich zunächst mit gerade nach vorne gestreckten Armen vor einem etwas entfernten Ziel und bilde mit Daumen und Zeigefinger beider Hände ein Dreieck, durch welches ich mit beiden offenen Augen das Ziel fixiere. Ich richte meinen Blick so, dass das Ziel in der Mitte meines Dreiecks erscheint, schließe abwechselnd das linke und das rechte Auge und bleibe dabei still stehen. Das Ziel erscheint für gewöhnlich beim Blick mit einem Auge weiterhin in der Mitte des Dreiecks, während es beim Blick mit dem anderen Auge aus der Mitte des Dreieckes verschwindet. Dieses Auge ist das wache Auge und wird beim Fechten zum Teil seitlich nach hinten gerichtet, das andere Auge, in dessen Blick sich das Ziel nicht bewegt, wird hier das scharfe Auge genannt, es richtet sich immer nach vorne beim Fechten mit der dafür als dominant definierten Hand. Im Allgemeinen wird auch von Augendominanz gesprochen, es ist dabei völlig unerheblich ob die gewohnten Tätigkeiten mit Rechts oder mit Links ausgeführt werden, meistens stimmt das überein. In vorstellbar seltenen Fällen ist keines der beiden Augen dominant, dann erfolgt die Wahl der ersten Fechthand nach bekannten Gewohnheiten.

Gefochten wird grundsätzlich mit beiden Händen, auch wenn für offizielle Turniere die Anmeldung aus technischen Gründen auf eine Entscheidung festgelegt ist und im Pass noch festgelegt bleibt, hier fällt die erste Wahl auf die Hand vor dem dominanten Auge. Ich gehe allgemein von der rechten Hand aus, auch wenn ich die Begriffe Rechts und Links zur Orientierung bewusst vermeide. Eine Übertragung auf die linke Hand wird nach entsprechenden Gewohnheiten und Erfahrungen persönlich erfolgen können.

Die Hand auf Seiten des scharfen Auges ist die erste Fechthand. Die Hand auf Seiten des wachen Auges ist die leichte Hand – diagonal dazu auf Seiten der Fechthand der leichte Fuß, auf Seiten des wachen Auges der feste Fuß.

Die Orientierung im Raum findet anhand einer Sphäre statt, diese Sphäre repräsentiert das Innere einer Kugelgestalt. Sie misst sich an der eigenen Körpergröße. Die Sphäre wird durch drei Ebenen geschnitten, die in ihrem Mittelpunkt zusammentreffen, sodass diese gemeinsam den umgebenden dreidimensionalen Raum beschreiben.

Dafür wird zunächst ausgehend von einem beliebigen Punkt auf der Erde imaginär oder tatsächlich ein Kreis gezogen um eine bequeme Schrittweite mit der Reichweite des Florett aus schräg zum Boden gestrecktem Arm. Der feste Fuß steht dabei immer im Mittelpunkt des Kreises.

Darauf folgt ein größerer Kreis mit beiden Füßen auf dem ersten Bogen umherlaufend nur um die Reichweite des Florett mit schräg zum Boden gestrecktem Arm. Hier zeigt sich deutlich eine Vorstellung für die Reichweite zum Ziel aus einfachen Bewegungen vorwärts oder rückwärts, dieses Maß sollte immer präsent bleiben.

Durch beide Kreise und den Mittelpunkt verläuft jetzt eine Linie in Richtung der Sonne und eine Gerade senkrecht dazu. Zur Nachtzeit weist die Linie auf einen Stern. Dieser Kompass liegt also abhängig von Uhrzeit und Ort nicht unbedingt im Norden, er kann aber mit der Linie zur aufgehenden Sonne so angelegt werden, dass die Gerade annähernd in Nord-Südrichtung verläuft. Das Lot fällt als eine gedachte Senkrechte von oben durch den Mittelpunkt zum Schwerpunkt der Erde.

Ich stehe mit dem Gesicht zur Sonne in der Mitte der Kreise, beide Füße befinden sich nebeneinander auf der Geraden, mein Blick richtet sich entlang der Linie. Ich begrüße den Stern mit dem Daumen der Fechthand und öffne beide Arme weit zur herzlichen Einladung. Ich stehe mit horizontal ausgestreckten Armen und dem Gesicht zum Stern, wende den Blick des scharfen Auges über den scharfen Daumen und die Spitze des Florett entlang der Geraden und lasse die Spitze des leichten Fußes meinem Blick folgen. Der leichte Fuß und der feste Fuß stehen nun rechtwinklig zuenander auf der Geraden, der Daumennagel der Fechthand weist senkrecht, die innere Fläche der leichten Hand leicht nach oben.

Stellung in Linie

[Linkshänder können die Drehung eleganter versuchen oder es einfach ok finden, dass sie andersrum stehen.]

Diese Figur dient gleichzeitig taktischen Motiven und unterliegt im Gefecht mit dem Florett besonderen Regeln, die später noch ausführlich erklärt werden. Hier gilt prinzipiell der zum Ziel gestreckte Fechtarm in einer Stellung als notwendiges Kriterium. Jetzt können sich beide Arme lockern und die Füße nehmen eine bequeme Schrittstellung ein, indem der leichte Fuß vorwärtsgerichtet auf der Geraden bleibt, der feste Fuß wird sich auf natürliche Weise neben die Gerade setzen, beide Knie sollen leicht gebeugt werden und dürfen entspannt federn. Das Florett weist entlang der Geraden und berührt nicht den Boden.

Aus dieser Grundstellung heraus über der Mitte sind vier Teile im Kreis zu erkennen und entlang der Linie und der Geraden vier Richtungen. Die Richtungen heißen Vorn, Hinten, Innen und Außen. Wobei Innen auf der Seite der leichten Hand liegt und Außen auf der Seite der Fechthand. Das soll nur der ersten Orientierung dienen, das gesamte räumliche Muster bildet sich in der Sphäre ab, die sich aus der Reichweite der Florettspitze in alle Richtungen ergibt.

Horizontal, Vertikal, Koronal

Wie aus den Kreisen am Boden zu erkennen, wird die Sphäre in acht gleichgroße Räume geteilt, als würde ein Apfel durch den Äquator halbiert und dann noch einmal entlang der Pole geviertelt. Jede daraus vorstellbare Halbkugel geschnitten aus einer dieser drei Ebenen zerfällt in vier Teile. Das Florett wird dabei einmal horizontal mit gerade aus der Schulter gestrecktem Arm in einer vollständigen Körperdrehung zum Kreis geführt, dann einmal ebenfalls mit gestrecktem Arm entlang der Geraden von vorn über den Kopf nach hinten – wieder zurück vertikal, und es wird einmal entlang der Linie seitlich über den Kopf von Außen nach Innen und zurück koronal geführt. Im Lot, während die Spitze des Florett senkrecht nach oben weist, wird dabei jedesmal die führende Hand gewechselt.

Die horizontale Ebene Teilt die Sphäre in eine obere und eine untere Hälfte.

Die vertikale Ebene teilt die Sphäre in zwei Hälften Innen und Außen, entsprechend rechts und links.

Die koronale Ebene teilt die Sphäre in eine Hälfte vorn und eine Hälfte hinten.

Dem Fechtarm dient vor allem der vordere Teil zur Orientierung, dieser lässt sich gliedern in vier Räume, den Raum Oben über dem Raum Innen und den Raum Außen über dem Raum Unten. Die Diagonale von Oben nach Unten verläuft also entgegengesetzt der Diagonalen von Außen nach Innen.

Die Mitte der Sphäre liegt im Herzen, dem Primären Ziel beim Florettfechten. Die Richtung nach vorn kennt demnach die Mitte als Ziel zum gegenüberliegenden Herzen, Hoch zum gegenüberliegenden Hals und Tief zum gegenüberliegenden Unterleib. Die gültigen Zielbereiche auf dem Oberkörper vorn heißen entsprechend der Raumeinteilung Oben, Unten, Innen und Außen.

Die Brust und obere Schulter zum leichten Arm sind das Ziel Oben. Brust und obere Schulter zum Fechtarm bilden das Ziel Außen. Bauch und Seite zum hinteren Bein bilden das Ziel Innen, Bauch und Seite zum vorderen Bein bilden das Ziel Unten. Arme und Beine gelten als ungültiges Ziel. Der Kopf als getroffenes Ziel ist grundsätzlich zu vermeiden.

Die Zielflächen werden in Form eines Drachen dargestellt aus dem Kreuz mit einer Waagerechten auf der Brust über das Herz und einer Senkrechten von der Kehle bis zum Unterleib. In Abstraktion der Zielbereiche bildet sich daraus die geometrische Figur.

Mit der Notwendigkeit einer umfassenden Verteidigung und einem im Verhältnis dazu relativ kleinen Zielbereich beinhalten die Richtungen Hoch und Tief natürlich auch Kopf, Beine und Füße, die Richtungen Außen und Innen ebenfalls beide Arme, Hände und seitliche Schultern. Die Orientierung für eine umfassende Verteidigung beinhaltet also den gesamten eigenen Körper in der Sphäre, während die Orientierung auf das Ziel nur die gültigen Trefferflächen auf dem Oberkörper beschreibt.

Natürlich ist auch der gesamte hintere Bereich des Oberkörpers Zielfläche, sie wird ähnlich untergliedert. Ich nenne sie Luft, Boden, Rücken und Schatten in paralleler Anordnung entsprechend der Raumteile einer hinteren Halbkugel. Von diesen Zielen ist jedes für einen Treffer gültig aber nur das Ziel Rücken entsprechend dem Schulterblatt des Fechtarmes ist unter fairen Bedingungen, seltener das darunterliegende Ziel Schatten als die äußere Lende, für Treffer geeignet. Treffer auf dem Oberkörper hinten werden also grundsätzlich als Treffer auf dem Rücken bezeichnet, egal wo sie landen.

Die Halbkugel hinten unterteilt sich demnach auf Seiten der leichten Hand in die Räume Luft und Boden sowie hinter dem Fechtarm in die Räume Rücken (oben) und Schatten (unten). Die leichte Hand befindet sich also wahrscheinlich die meiste Zeit in der Luft und der hintere Fuß auf dem Boden. Durch das Zurückdrängen des Gegners wird Boden gewonnen, wenn der feste Fuß sicher nachsetzt und seine Stellung behauptet.

[Nach der klassischen Schule liegen die Bereiche Innen und Außen für die hintere und die vordere Halbkugel diagonal zueinander. Das hat die einfache Begründung dass Bewegungen mit dem Fechtarm nach außen vom leichten Arm in entgegengesetzter Richtung gefolgt werden entsprechend einer Drehung im Uhrzeigersinn für Rechtshänder. Da das Modell der Sphäre mit einer Gliederung in Raumteile aber hier für mich erstmal so leichter zu erklären ist, hab ich die klassische Vorstellung noch nicht explizit aufgenommen. In modernen Fechtschulen wird diese detailreiche Unterscheidung sowieso nur sehr selten gemacht und hat zum Teil persönlichen Charakter.]

Der Vollständigkeit halber zähle ich die Raumteile der Halbkugel oben nocheinmal im Uhrzeigersinn auf mit Oben, Außen, Rücken und Luft sodass das Kreismuster auf der Erde in die Kreisviertel Innen, Unten, Schatten und Boden zerfällt, die ihre entsprechenden Raumteile repräsentieren.

Dieses Orientierungsmuster erscheint zuerst ein bisschen statisch, aber die Sphäre folgt mit ihren drei Ebenen jeder Körperbewegung. Sie behält in jeder Position und Lage auch bei einer Drehung ihre Orientierung relativ zum Körper bei. Vorn ist also immer da, wo nach Ausrichtung der Fechthand das Ziel liegt. Im Gegensatz dazu bleiben die Himmelsrichtungen angesichts des Sonnenlaufs und der Sterne relativ zur Erde konstant, sie umgeben also die imaginäre Sphäre mit einem gedachten Kreis, der genau waagerecht verläuft wie eine Wasserlinie, denn auch das Lot fällt stets genau senkrecht.